Comicreview: “Die Kolonie” von Charles Burns
Originaltitel: The Hive
Herausgeber: Reprodukt
Veröffentlicht: 01.06.2012
Künstler: Charles Burns
Art: Hardcover (Band 2 der Trilogie)
Seiten: 56
Sprache: deutsch
Preis: 18 €
U-Bahnlesetauglichkeit: Leider zu groß und ein bisschen zu schwer
Rating: Wenn das alles gut endet 5/5 beim Transport heilgebliebene Eier, wenn es enttäuschend endet bin ich einfach nur wütend.
Erwerbbar bei Amazon (Partnerlink) oder direkt bei Reprodukt, wo es auch die Leseprobe gibt.
Zuletzt hatte ich “X” von Charles Burns, welches den Anfang dieser Trilogie darstellt, in den Händen und konnte endlich die Fortsetzung der Serie “Die Kolonie” ergattern, von der ich hoffte, dass sie mir ein paar Fragen um den Hauptcharakter beanwortet und mich nicht schon wieder so angenehm ratlos zurücklässt. Ob diese Fragen beantwortet werden, ob das nicht noch alles schlimmer wird und, viel wichtiger, wie ich das alles fand, könnt ihr in folgender Review nachlesen.
Worum geht es hier eigentlich?
Und das ist genau die schwierigste aller Fragen. Worum es geht wird einfach nicht klar. Während uns der erste Teil mit einem Gefühl zurück liess, als hätte man uns den Band mehrmals ins Gesicht geschlagen, geht dieser hier noch ein bisschen weiter. Die Geschichte spielt nämlich in verschiedenen Ebenen, deren Übergänge für uns genauso zu verschwimmen scheinen, wie für den Hauptprotagonisten Doug, der in ihnen zu leben scheint. Wenn man das denn leben kann.
In einer Welt, die vermutlich (oder eher hoffentlich) eine Welt ist, die aus seinen Wahnvorstellungen herrührt, ist Doug Pfleger in einer Art Brutstation. Diesen Job vermittelte ihm sein (sowas wie ein) Freund, der kleine, nackte Mann, der ihm diese Gefälligkeit stets vorhält. Dort freundet er sich mit den Insassinnen an, die im Allgemeinen nur Brüter genannt werden und eben irgendetwas ausbrüten, was offenbar mitunter auch übel enden kann.
Die andere Welt beschäftigt sich mit seiner exzentrischen Freundin Sarah, mit der er eine höchst zerstörerische Beziehung führt und in deren gemeinsamer Geschichte irgendetwas Schlimmes geschehen sein muss. Als beide zum Abspannen zu seiner Mutter fahren, finden sie alte Fotos von seinem Vater, der scheinbar an einer schweren Krankheit verstarb. Mittels dieser Fotos lässt Doug alte, sehr schwere, Erinnerungen aufleben und werfen ihn in ein depressives Loch.
Die dritte Ebene scheint irgendwo in der Zukunft zu spielen und wir sehen einen recht aufgedunsenen Doug, der seiner blonden Freundin, die ein bisschen wie die beste Freundin Sarahs aussieht, von seiner Beziehung zu ihr erzählt. Vermutlich ist er abhängig von Drogen- und/oder Alkohol und ein seelisches Wrack. Es gibt da auch noch mehrere Traumebenen, die ich hier aber einfach nicht weiter erwähnen kann, weil es das alles noch mehr verkomplizieren würde.
Liefern die Zeichnungen Erklärungen?
Leider nicht, dafür sind sie aber wieder herausragend und wunderschön. Wunder-, wunderschön. Obwohl sie klar und ohne Schnörkeleien gezeichnet sind und dadurch recht unschuldig wirken, transportieren sie die Geschichte, ohne zu viel zu verraten. Tatsächlich entwickeln sich hier Erzählung und Optik gegenseitig, eine Sache wird erzählt, eine andere gezeigt und zusammen schaffen sie eine Geschichte. Dabei zeigen die Zeichnungen aber nur so viel wie nötig und manchmal auch zu wenig, um wirklich zu begreifen. Wir wissen beispielsweise nicht, was es mit den Brüterinnen auf sich hat, wissen aber, dass sie über einen unwahrscheinlich großen Unterleib verfügen müssen. Alle Arbeiter in der Fabrik sind grüne Echsenmenschen, Doug und die Brüterinnen, zumindest ihr Oberkörper, sind aber menschlich. Die Brüterin, mit der sich Doug am besten versteht, ähnelt sehr seiner Sarah und sie mag alte Groschenromane, die, wie wir in einer späteren Erinnerung erfahren, Sarah auch gerne liest. Wie gesagt, Optik und Inhalt unterstützen sich gegenseitig.
Interessant und vielleicht ein Ansatz zur Interpretation des Werkes ist, dass es in der grotesken Welt mit den Brüterinnen und den Echsenmenschen weder richtige Augen (nur kleine schwarze Punkte) noch richtige Schatten gibt. Sicherlich gibt es beispielsweise durch Falten auf der Kleidung geworfene Schatten, aber keine in den Gesichern oder den Räumen, während die Ebene mit Sarah hauptsächlich dunkel ist und von Schatten nur so durchflutet wird. Die Erinnerungsebene mit der Blondine ist zwar nur kurz, dafür aber bedrückend schattiert. Ich glaube, ich komme dem Rätsel auf die Spur.
In einer Szene erklärt Sarah Doug, dass sie überfällig sei und anstatt sich damit auseinanderzusetzen, driftet er in eine weitere Erinnerung ab, in der alles ein bisschen spannender und besonderer war. Vielleicht…. hm.
Gerade auch die groteske Welt wimmelt nur so vor Abfuck. Sei es das Essen, die Leute, die Lebensumstände. Alles ist dreckig und wüst und überhaupt nicht habitabel. Dafür ist sie aber hell und freundlich, während in der Sarahwelt alles düster und traurig ist, sich dort aber seine große Liebe befindet. Vermutlich endet das Universum, wenn ich das alles verstanden habe.
Ist das alles gut oder abschreckend?
Es ist großartig. Manchmal muss man Dinge nicht verstehen, um sie zu geniessen. Sei es hier allein die Optik oder auch nur dieses Andeuten eines Verstehens. Manchmal ist es nur ein Panel, dass einen “AHA! Das habe ich doch schon mal in “X” gesehen!” schreien lässt. man spürt, wie alles immer runder wird, kleine Zahnrädchen ineinander greifen und irgendwann einfach alles Sinn ergeben muss. Von der Kopfverletzung aus dem ersten Teil ist zwar keine Rede mehr, aber vielleicht war das auch nur das Transportmittel zur grotesken Welt. Vielleicht sind es Überbleibsel des Zusammentreffens mit Sarahs Ex-Freund und vielleicht leidet Doug auch an der selben Krankheit, wie sein Vater. Man weiß es nicht. Man weiß gar nichts, aber man ahnt, dass das alles wirklich furchtbar enden könnte. Wirklich sehr, sehr furchtbar.
Und dass Doug in einer Szene ein Buch namens “Das Geheimnis der Kolonie” liest, ist überhaupt nicht hilfreich, HERR BURNS!
Nachtrag: Ich habe gerade noch mal “X” gelesen und jetzt macht alles ein bisschen mehr Sinn. aber nicht viel.
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