Comicreview: “Entführt” – Das Mädchen im Koffer
Herausgeber: Panini
Veröffentlicht: 19.11.2013
Künstler: Hernán Migoya, Joan Marín
Art: Hardcover (enthält komplett “Plagio – El secuestro de Melina”)
Seiten: 268
Sprache: deutsch
Preis: 24,99 €
U-Bahnlesetauglichkeit: Das ist leider etwas zu schwere Kost, dafür braucht man Ruhe und Zeit.
Rating: 5 von 5 aufgeklebte Bärte
Kaufbar bei Amazon (Partnerlink) oder direkt bei Panini, leider ohne Leseprobe.
Lima, die Hauptstadt Perus, gilt im Allgmeinen schon als äußerst gefährliche Stadt. Zwar auch für Touristen, aber eben auch für die Bewohner selbst. DIe Millionenmertopole selbst ist so verwinkelt und dabei ziemlich zerlebt, dass es den örtlichen Gesetzeshütern kaum möglich ist, jedes Verbrechen aufzuklären, geschweige denn überhaupt zu erfassen. In dieser Stadt lebt die junge Jursastudentin Melina als Tochter recht wohlhabender Eltern, wodurch sie natürlich ein perfektes Ziel für Leute darstellt, die mit einer entführung ein paar schnelle Dollar verdienen wollen, ist doch die einheimische Währung, der Sol, nicht mehr wert als so manches Menschenleben. Eines Tages möchte Melina zur Uni gehen, teilt sich mit dem vermeidlichen Freund eines Freundes ein Taxi und findet sich in einem verschlossenen Koffer wieder.
Das klingt… düster
Natürlich meinen es die Entführer ernst, verlangen $ 40’000 von Melinas Eltern, was eine Summe ist, die sie natürlich unmöglich aufbringen können. Und so sitzt Melina, mittlerweile glücklicherweise nicht mehr in ihren Koffer gesperrt, im Badezimmer einer billigen Absteige, völlig alleingelassen mit ihren Gedanken. Sie flüchtet sich in schönere Erinnerungen, betet zur heiligen Helena, obwohl sie selbst kaum religiös ist, und hofft, dass alles gut ausgeht und sie nicht sterben muss, wie es ihr die Entführer stets androhen.
Währenddessen sind die Entführer selbst damit beschäftigt, sich auf ein Vorgehen zu enigen. Das liegt nicht daran, dass sie nicht wissen, was sie wollen, sondern weil sie in diesem Geschäft völlig unerfahren sind. Dem einen geht das alles viel zu weit, dem anderen nicht weit genug und anderen nicht schnell genug. Und Melina sitzt in ihrem Badezimmer und weint.
Natürlich setzen die Eltern alles darn ihre Tochter wiederzufinden, benachrichtigen sogar, gegen den Wunsch der Entführer, die örtliche Polizei, die traurigerweise viel Erfahrung mit Fällen dieser Art hat. Sie organisieren und leihen sich so viel Geld wie möglich, können die geforderte Summe aber natürlich nicht so leicht aufbringen, und stehen dabei Todesängste um das Wohl ihrer Tochter aus. Glücklicherweise sind die Entführer aber nicht so kompetent, wie sie es vorgeben zu sein.
Also ist es auch ein bisschen lustig?
Ein gewisser Humor lässt sich hier einfach nicht bestreiten. Beispielsweise wenn Melina den Entführern Ansagen macht, die diese auchbefolgen, wenn die Vermieterin vor dem Versteck steht und trotz aller Gebote ein Mädchen in er Wohnung vermutet oder gar, wenn die etwas verplante Haushälterin der Familie die Geldübergabe vermasselt. Das hat alles eine gewissteKomik, die für die Figuren selbst natürlich den puren Horror darstellt. Trotzdem ist es nicht lustig gemeint, das spürt man ganz stark, und auch, wenn es hier die biografische Geschichte der Melina ist, handelt es sich dabei doch um ein Verbrechen, das in der Stadt jährlich hundertfach begangen wird und dabei nur sehr, sehr selten gut ausgeht.
Heisst das, das ganze ist wirklich passiert?
Tatsächlich handelt es sich bei dem Autor um Melinas jetzigen Ehemann, der ihre Erinnerungen, Sorgen und Ängste in eine Geschichte packte und zeichnen liess.Mit diesem Wissen im Hinterkopf wird die Geschichte nochmal ein ganzes Stück realer, auch wenn ich hier jetzt vermutlich das Ende gespoilert habe. Aber ich weiß nicht, wie es euch geht – eine böse endende Entführungsgeschichte mit realem Hintergrund würde ich sowieso nicht lesen wollen.Dafür findet man im Anhang sogar noch ein paar Dokumente, die den Realismus noch weiter unterstreichen Darunter finden sich Melinas Aussagen, Transkripte der Telefonate zwischen Melinas Eltern und ihren Entführern und viele andere, mitunter auch polizeiliche, Dokumente.
Dabei weiß ich allerdings nicht, ob der Comic die Welt verbessern, einen Fokus auf diese Problemati sezen oder nicht nur einfach eine verstörende Geschichte erzählen möchte. Ich glaube es ist letzteres, ist es doch eine spannende, mitreissende Geschcihte, bei der man stets hofft, dass alles gut ausgeht. Natürlich weiß man, dass es gut ausgeht, aber sicher kann man sich da bis zum ende ja nie sein.
Die Zeichnungen des WErkes stammen von Joan Marín und funktionieren in diesem Zusammenhang erstaunlich gut. Sie sind recht schlicht, so gut wie nie schattiert, leben aber vor allem von den Perspektiven. Mal ist es eine Großaufnahme eines Auges, mal sind es mehrere Perspektiven der selben Szene, meistens sind sie sehr bedrückend und trist. Ich gehe fast davon aus, dass sich Lima so anfühlt, wie es Marín zeichnet – irgendwie überfüllt und trotzdem einsam.
Fazit: Die Geschcihte von dem Mädchen, das in einen Koffer gesperrt wurde, klingt vielleicht ein bisschen absurd, aber allein die Vorstellung finde ich schon äußerst unangenehm, sehr schmerzhaft und absolut verstörend. Gerade in Lima, das ja scho nbekannt für seine skrupellosen Entführer ist, ist das vermutlich eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichten würde. Genau diese Geschichte wird von Hernán Migoyas aber so packend und abschreckend erzählt (ein Großteil der Wirkung ist aber auch den Bildern Joan Maríns zu schulden), dass man eine ziemlich gute Vorstellung von diesem furchtbaren Ereignis bekommt.
2 Comments
Herr Friedersdorf (@Fadenaffe) · 15. Januar 2014 at 14:24
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@koffer_news · 15. Januar 2014 at 15:14
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