Comicreview: “Das echte Leben – Digitale Welten” von Cory Doctorow
Cory Doctorow ist sicherlich bereits als Journalist, Autor und vor allem als Blogger bei Boing Boing bekannt. Jetzt hat er aber auch mal als Comicautor in neue Gefilde gewagt und da sind die Erwartungen natürlich groß, handelt sein Comicdebüt doch von Computerspielen, Computerspielern, sozialer Ungerechtigkeit und dem Erwachsenwerden. Es scheint sich also um einen recht außergewöhnlichen Themenmix zu handeln, für den man besonders einfühlsam sein muss. Schauen wir doch also mal nach, ob Cory das auch adäquat gemeistert hat.
Wer ist eigentlich Anda?
Anda ist eines dieser Mädchen, die sich in ihrer Pubertät scheinbar nicht besonders wohl fühlen. Sie hat zwar Freunde, gehört aber nicht unbedingt zu den coolen Kids, sie hat Interessen und Hobbies, aber keines davon ist Sport oder auf andere Weise besonders hip. Bis eben eines Tages Liza in ihre Klasse kommt, um Mädchen für ein neues Projekt zu gewinnen – sie hat eine Gilde für Mädchen in dem äußerst beliebten Online Rollenspiel “Coarsegold Online” gegründet und sucht nun Mitstreiterinnen, weil das soziale Kompetenzen vermitteln und das Selbstvertrauen stärken soll. Anda ist direkt Feuer und Flamme, versucht sofort ihre Eltern zu überzeugen, dass sie daran teilnehmen darf und hat schnell die ersten Erfolgserlebnisse.
Eines Tages wird sie allerdings von ihrer Gildenkollegin Lucy gefragt, ob sie sich nicht das ein oder andere Echtgeld dazuverdienen möchte. Alles, was sie dafür tun muss, ist mit ihr zusammen Goldfarmer zu jagen, welche die Spielmechaniken ausnutzen, um eben Gold und Gegenstände an andere Spieler zu verkaufen. Klar, dass Anda das unfair findet und auch da sofort dabei ist, bis sie aber eines Tages mit einem der Goldfarmer ins Gespräch kommt.
Sie erfährt von Richard, so der Name des chinesischen Gamers in seinem Englischunterricht, dass er das ja nur tut, um sich irgendwie zu ernähren, weil er sonst keinerlei Möglichkeiten auf einen guten Job hat. Seine Eltern verstehen das alles nicht und sein Chef nutzt seine Arbeiter natürlich auch nur aus. Richard ist nämlich krank, würde er aber auf der Arbeit fehlen, würde er rausgeschmissen werden. Anda befindet sich nun natürlich in einem moralischen Dilemma, entscheidet sich aber dafür ihre Freundin Lucy zu hintergehen und Richard zu helfen, indem sie ihren Vater, der zufälligerweise auch gerade einen Arbeitskampf ausfechtet, um Rat zu bitten, was man denn bei schlechten Arbeitsbedingungen so tun kann.
Es kommt sogar zu einem Gefecht zwischen Anda und Lucy, bei dem Lucy siegreich hervor geht, woraufhin sie in ihrer Gilde gesperrt wird. Mit einem Twink sucht sie nach Richard, der aber mittlerweile ersetzt wurde, allerdings kann sie trotzdem einen Arbeitskampf im fernen China auslösen, wodurch die Arbeiter nun unter besseren Bedingungen arbeiten können. Und Richard? Weil er so gut englisch sprechen kann, ist er in einer neuen Firma, in der sie Charaktere aufleveln, um in besseren Dungeons zu farmen, während die Gilde von Andas Taten erfuhr und sie wieder aufgenommen wurde und sogar zu einer Offizierin wurde…
Wow, das klingt als hätte niemand eine Ahnung von jedem der Themen gehabt!
Auf den ersten Blick macht das schon alles Sinn und ist wirklich eine ziemlich nette Geschichte über eine Freundschaft, die lediglich über das Internet stattfindet. Schließlich beeinflussen sich hier gegenseitig zwei Leben auf so ziemlich der jeweils anderen Seite der Welt. Während das eine Leben eines ist, das wir ganz gut verstehen können, ist uns das andere so fremd, dass wir vermutlich ähnlich wie Anda gehandelt hätten und dem armen chinesischen Goldfarmer helfen wollen ein besseres Leben zu führen. Aber im Detail hat das alles leider so viele Schwächen, dass es mitunter auch ein bisschen lächerlich wirkt.
Das alles wirkt nämlich leider so ungar und oberflächlich, dass ich jetzt nicht wirklich weiß, wie die Menschen hinter den Goldfarmern so sind, wer die Küfer dieses Goldes sind und wie kann es sein, dass ein ziemlich neuer Charakter auf einmal so mächtig ist, wie Anda? Was ist das für ein komisches Spiel, in dem man auf Level 3 schon PVP machen kann? Außerdem erfährt natürlich auch in gewisser Weise Andas Mutter davon, in dem sie die Paypal-Überweisungen von fremden Männern sieht und Anda zur Rede stellt, was in einem Internetverbot mündet.
Ich gehe davon aus, dass die Überlegungen zu diesem Buch sicherlich gut waren, um das Thema mal irgendwie auf das Radar zu bringen, allerdings hat es in der Umsetzung leider einfach nicht geklappt und das ist wirklich sehr, sehr traurig. Ich habe die Regeln dieser Spielwelt nicht verstanden und sehe einfach nicht, was die Faszination daran in diesem speziellen Fall sein soll. Dieses ganze Gildending, warum Anda da überhaupt erst mitmachte, findet kaum Erwähnung und eigentlich geht es die ganze Zeit nur darum, dass Lucy gerne Goldfarmer jagen möchte, um irgendwelche Komplexe zu verarbeiten. Es wird kurz mal angesprochen, dass sie auch nicht besser als eben jene Farmer ist, da sie ja auch die Regeln des Spiels ausnutzt, um Echtgeld zu verdienen, aber eine wirkliche Auseinandersetzung mit dieser Dualität gibt es leider gar nicht, weil sie in dem Moment (wir erinnern uns: Lucy spielt das schon eine Weile, Anda ist erst kurze Zeit dabei) schon von Anda umgebracht wird (volla imba dieses Game).
Ist es wenigsten hübsch?
Aber es macht total Spaß sich die Zeichungen anzuschauen. Echtleben-Anda sieht ihrem Alter-Ego natürlich sehr ähnlich, während Game-Anda natürlich ein bisschen sexier ist, was dann später auch auf Lucy zutrifft. Ansonsten sind das aber wirklich sehr hübsche, helle Zeichnungen, die sowohl in der echten Welt funktionieren, aber eben auch sehr gut Fantasiewelten gestalten können. Ich würde allerdings sogar soweit gehen, dass die Zeichnungen, übrigens von Jen Wang, das eigentliche Highlight des Comcis sind, weil mich die Story durchweg kalt ließ. Leider. Leider, leider, weil das Thema als solches natürlich sehr interessant ist, der Umgang damit hier aber bestenfalls oberflächlich stattfindet.
Kaufbar bei Amazon (Partnerlink) oder direkt bei Panini, mit Leseprobe hier.
Erscheint am: 19.05.2015
Seiten: 200
Format: Hardcover
Original-Storys: “In real life”
Autor: Cory Doctorow
Zeichner: Jen Wang
Preis: 16,99 €
U-Bahnlesetauglichkeit: Das Format ist dafür unglaublich gut gemacht
Rating: 2 von 5 Goldfarmingbots wissen, was sie da tun. Die anderen rennen nur im Kreis.
4 Comments
Erbse · 13. Juli 2015 at 17:33
Das fasst sehr gut zusammen, was ich über das Buch denke. 😀
War zuerst voller Vorfreude auf das Buch, eben weil ich auch sehr gerne in so MMORPGs abhänge… aber im Großen und Ganzen wird in der Geschichte alles nur angekratzt, anstatt zumindest ein bisschen tiefer zu gehen. Und wie du schon schreibst, ist manches einfach nicht der Wahrheit entsprechend dargestellt.
Nun denn. Die Zeichnungen haben mir ebenfalls am Besten gefallen. 🙂
Liebste Grüße,
Erbse
Henrik · 16. Juli 2015 at 19:34
Da hier alles richtig ist schreibe ich unter Erbses Comment und deinen Artikel nur ein WORD!
Marco · 22. Juli 2015 at 10:15
@Erbse: Ich freu mich immer, wenn man mir komplett zustimmt. Dankeschön 😀
@Henrik: Aber welches Word? WELCHES WORD?? 😀
Captain Hotpants (@Fadenaffe) · 13. Juli 2015 at 17:00
#MindsDelight Comicreview: “Das echte Leben – Digitale Welten” von Cory Doctorow http://t.co/SvQctqyOgI