… und dann war ich auf einmal zu Weihnachten Türsteher in der Stadtmission.

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Bevor es hier alles wie gewohnt weitergeht und mich der Alltag in seinen tristen Armen umschließt, möchte ich euch noch kurz erzählen, was ich eigentlich Weihnachten angestellt habe. Klar, Heiligabend habe ich fein für meinen Papa gekocht und am zweiten Weihnachtsfeiertag bin ich zu meiner Mutti gefahren (Trennungskind), aber am ersten Weihnachtsfeiertag bin ich sehr über meinen Schatten gesprungen und habe etwas gemacht, was ich bei anderen immer total bewundert habe, mich selbst aber dort nie sah – ich habe ehrenamtlich gearbeitet!

Bevor ich euch davon erzähle, solltet ihr allerdings noch ein paar Dinge über mich wissen.
Weihnachten bedeutet mir nicht wirklich viel. Ich mag, dass man da frei hat und das Fernsehangebot ist auch nicht so schlecht, aber im Grunde ist das für mich alles mit ziemlich viel Stress verbunden. Man muss sich entscheiden, wo man seine Zeit verbringt und hat das Gefühl, dass man auf jeden Fall jemanden vernachlässigt. Wie gesagt, als Trennungskind sind solche Feiertage für mich eher negativ konnotiert. Vielleicht ändert es sich, wenn ich selbst mal Familie habe, aber das bleibt abzuwarten.
Außerdem habe ich nicht besonders viel Mitleid. Mitgefühl und Empathie, klar, aber Mitleid ist für mich eher mit einer gewissen Hilflosigkeit verbunden, die ich vermutlich einfach nicht empfinden möchte. Ich kann mich glaub ich ganz gut in die Gefühlslage anderer versetzen, aber vermutlich bringt es mein Beruf als Informatiker mit sich, dass ich einfach eher lösungsorientiert bin und keine gute Schulter zum ausheulen biete, weil ich immer den Drang habe die Probleme zu lösen, die mir präsentiert werden.

Wichtig zu erwähnen ist mir aber noch, dass das hier kein “Guckt mal, wie toll ich bin”-Artikel werden soll, nur weil ich einmal ehrenamtlich gearbeitet habe, was andere Leute ja schon seit vielen Jahren viel besser machen. Eigentlich wollte ich diesen Artikel überhaupt nicht schreiben, weil ich dieses “Tue Gutes und sprich darüber” für falsch halte, ist doch die gute Tat ihre eigene Belohnung und das darüber sprechen mich ja über andere Leute erhebt, was ich halt gar nicht will. Meine Vertrauten, denen ich davon erzählte, hielten das aber für eine gute und spannende Sache und meinten, dass es vielleicht dafür sorgen könnte, dass sich wiederum andere engagieren. Also weiß ich jetzt auch nicht.

Jedenfalls erzählte die liebe Anna Ende November, dass sie noch Freiwillige für den Weihnachtsdienst in der Berliner Bahnhofsmission am Zoo suche. Ich erinnerte mich mit vermutlich vom Bier vernebelten Kopf daran, dass ich Weihnachten ja bekanntlich eher doof finde, und sagte sofort zu. Später überlegte ich natürlich noch kurz, wie ich wieder sauber aus der Nummer rauskomme, denn mit Obdachlosen arbeiten, in einer fremden Umgebung, während ich eigentlich herumliegen und nichts tun könnte, ist mir natürlich äußerst unangenehm, sehe ich mich doch eher als introvertierten Menschen, andererseits hatte ich aber auch zugesagt und es ist mir wichtig, dass ich mein Wort auch halte. Also gab es da eigentlich keine wirkliche interne Diskussion für mich. Am ersten Weihnachtsfeiertag würde ich also irgendwas in der Stadtmission machen.

Mein Dienst sollte von 13:30 Uhr bis 18 Uhr gehen, also war ich gegen 13 Uhr da und stand erstmal vor verschlossenen Türen herum. Ich hatte Bescheid gesagt, dass ich da sein würde, aber irgendwie vergessen nachzufragen, was ich dann genau zu tun hätte. Während schon einige Gäste vor der Einrichtung standen, drängelte ich mich irgendwie dazwischen und entdeckte die Klingel leider erst recht spät. Egal. Immer noch pünktlich.
Als ich dann da war, wurde ich auch direkt super freundlich von allen empfangen, bekam meine blaue Weste, zwei Paar Einmalhandschuhe und fand mich direkt in einem Teammeeting wieder, in dem der kommende Tag besprochen wurde. Es gab mehrere feste Positionen (Küche, Tür, Lager), in denen eigentlich jeder ganz frei wirken konnte. Zwar gab es eine Leitung bzw. einen Hauptverantwortlichen, aber weil die Leute (größtenteils Ehrenamtliche) da alle sehr viel Erfahrung haben, konnte natürlich jeder ganz frei agieren. Das ist natürlich auch zwingend notwendig, wenn man da irgendwie nur zu zehnt (höchstens zu fünfzehnt, aber ich habe nicht gezählt) viele, viele Gäste versorgen muss. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde und einer motivierenden Rede (ich war tatsächlich gerührt) ging es dann auch direkt los. Eigentlich sollte ich irgendwo hinter den Kulissen agieren, aber man entschied sich doch recht spontan, mich an der Tür einzusetzen. Vermutlich deswegen, weil ich groß und bärtig bin und durchaus grimmig schauen kann, aber das wurde nicht ausgesprochen. Was mir allerdings gesagt wurde, ist, dass die Tür der fieseste Spot sei. Die Leute würden irgendwann ungeduldig, weil auch nicht jeder reinkommen kann und warten müssen und es da natürlich auch ein gewisses Aggressionspotential gibt, aber man vertraute mir da und ich war ja auch nicht allein.
An der Tür waren wir zu dritt oder viert und bestimmten, wer nun zur Speisung darf und wer warten muss. Geregelt wurde das über Tickets. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie viele Runden wir machten, aber ich glaube, wir haben drei oder vier mal jeweils 50 Tickets ausgegeben, deren Empfänger nacheinander zur Speisung durften. Die, die kein Ticket bekamen, mussten natürlich auf die nächste Runde warten, wobei wir aber auch so ab und zu mal jemanden einließen, wenn es der Platz im Speisesaal hergab. Eine weitere Aufgabe an der Tür war es Spender einzulassen und ich bin ganz ehrlich total überrascht, wie viele Leute zu den Feiertagen vorbeikommen und Essen oder Sachspenden abgeben möchten. Familien mit kleinen Kindern, Paare, einzelne Leute oder auch Betreiber von Geschäften, die noch Lebensmittel übrig hatten – es ist echt irre, wie hoch die Spendenbereitschaft ist. Allerdings wurde mir auch gesagt, dass das leider nicht immer so ist und es schön wäre, wenn sich das etwas mehr über das Jahr verteilen würde.
Außerdem hatte ich direkt Zutritt zum Klamottenlager, weil einige der Gäste nicht nur speisen möchten, sondern natürlich auch Kleidung benötigten, die ich dann raussuchte.

Es gab da beispielsweise eine Lady, die mir erzählte, dass man ihre Jacke gestohlen hätte. Sie erinnerte mich total an meine Oma und ihr zu helfen war ir natürlich total wichtig. Ihr war das sehr unangenehm, aber ich erklärte ihr, dass ich sie unmöglich guten Gewissens ohne warme Jacke in die Kälte lassen könnte. Viele brauchten warme und trockene Socken oder Schuhe, einmal musste ich sogar meine sehr eingerosteten Russischkenntnisse aus dem Abi ausgraben, um überhaupt ein bisschen zu verstehen, was da jemand wollte. Für einen musste ich drei mal laufen, bis ich eine passende Hose fand. Es war alles sehr aufregend und anstrengend, aber ihr wisst schon: Meine lösungsorientierte Betrachtungsweise zwang mich, für jeden etwas zu finden, der es wirklich brauchte. Wenn jemand nur bessere Schuhe oder eine schickere Jacke wollte, war das natürlich schwierig, denn die Vorräte natürlich auch äußerst begrenzt.

Spannend war es auch, als auf einmal jemand mit blutüberströmter Hand vor der Tür stand. Sie war ganz rot und blau und es sah echt übel aus, allerdings konnte ich da auch nicht so richtig hinschauen. Blut und Gore finde ich in Horrorfilmen unglaublich spaßig und unterhaltsam, im echten Leben habe ich damit allerdings echt ein Problem und ich war dankbar, dass sich dessen jemand mit mehr Erfahrung (oder dickerem Fell) annahm und einen Krankenwagen rief. Später stellte sich heraus, dass er da nur Schmerzmittel abgriff und verschwand. Das ist nicht schön, aber eben die Realität.
Genauso ist es die Realität, dass manche Leute da sehr arschig sein können. Geschätzte 95%, vermutlich eher mehr, sind super dankbar, total gut drauf und glücklich und bedanken sich tausendmal, wie schön das alles ist und dass wir da einfach so arbeiteten und hatten einfach einen schönen Tag. Das ist natürlich das Ziel, aber es gibt halt auch wie überall immer wieder Leute, die einem total auf den Sack gehen. Einer versuchte sich beispielsweise immer mit seiner großväterlichen Art (mein Opa trug genau den gleichen Hut!) an uns vorbei zu mogeln, aber da muss man natürlich hart bleiben – kein Eintritt ohne Ticket.
Ein anderer stellte immer den Fuß in die Tür, diskutierte bis auf das sprichwörtliche Messer mit uns, andere beleidigten auf’s Übelste, aber tatsächlich trifft das überhaupt nicht. Keine Ahnung, die kennen mich ja nicht und ich helfe da, also haben die Beleidiungen ja keine Grundlage und tatsächlich kann ich mich auch an keine erinnern.
Einmal eskalierte es vor der Tür allerdings so schlimm, dass wegen einer Schlägerei die Polizei gerufen werden musste. Alkohol und Drogen sind halt auch echt ein Thema da. Eine, die mit mir an der Tür arbeitete, meinte, ihr wäre oft unbehaglich, wenn die Gäste die Hände in den Taschen hätten, denn man wisse ja nie. Bis dahin hatte ich gar nicht daran gedacht. Dann leider immer, weil es auch schon dunkel war und die ersten Flaschen geöffnet wurden. Ziemlich unangenehm war auch dieses ganze Gehabe, dass sich manche nichts von Frauen sagen lassen wollten, was vermutlich auch ein Grund dafür war, dass ich groß, bärtig und böse vor der Tür erklärte, wie das hier alles genau läuft.
Am gruseligsten war aber der Moment, als wir am Ende sagten, dass wir noch genau zehn Leute einlassen könnten, und auf einmal ein Pulk auf uns zu strömte, der unmöglich aufhaltbar war. Da bin ich aber durchaus auch von mir selbst überrascht, dass ich meine Stimme so erheben kann, dass die Leute wieder alle einen Schritt zurück gingen und wir das alles ein bisschen geregelter hinbekamen.

In den Pausen plauderte ich ein wenig mit den anderen Helfern und ich war ziemlich erstaunt, wie unterschiedlich die Gründe waren, warum sie da helfen wollten. Manche machten das irgendwie schon immer, andere rissen dort ihre Sozialstunden ab, einige hatten einfach keine Lust auf diesen Familientrubel und wiederum andere hatten einfach ein blödes Jahr und wollten nicht, dass ihnen zuhause die Decke auf den Kopf fällt. Da war mein “ich hab halt Zeit und wurde gefragt” ein bisschen trivial, passte aber sicherlich auch ganz gut in die Reihe. Am Ende war es aber ein total durchwachsenes Team, das aber doch total gut zusammenarbeitete.

Nachdem das jetzt schon eine Weile her ist und ich das alles nochmal reflektieren konnte, muss ich aber sagen, dass es nicht so ist, wie die Leute immer ganz romantisch behaupten. Man hat nicht dieses befreiende Gefühl etwas Gutes getan zu haben und fühlt sich nicht beschwingt und ein bisschen besser mit dem Universum verbunden. Wie es meinem Karma-Konto geht, kann ich auch nicht sagen. Vermutlich ist es unverändert.
Nach dem Tag (ich hatte dann doch noch länger gemacht, weil einfach gehen, nur weil meine Schicht zu Ende ist, aber die anderen noch im Stress sind, ist auch nicht so mein Stil) war ich allerdings mega erschöpft, mir tat alles weh und ich war froh, wieder allein zu sein und nicht reden zu müssen. Eine heiße Dusche und ein Feierabendbierchen später war ich auch schon auf dem Sofa eingeschlafen, aber ich war durchaus zufrieden und glücklich sinnvoll gewesen zu sein und ich habe ziemlich viel über mich gelernt. Ich kann Leuten helfen, die Hilfe möchten, und ich kann Leute durchaus auch mal lauter zurechtweisen, die sich daneben benehmen. Das ist gut zu wissen. Vor allem war ich aber auch gezwungen auf Leute zu zugehen und sie anzusprechen, was jetzt auch nicht unbedingt leicht für mich ist. Oder war. Vielleicht.
Am Ende hat das alles aber irre viel Spaß gemacht und ich bekam auch total viel Lob für alles. Aber mir ist natürlich absolut bewusst, dass ich noch Einiges zu lernen habe und hier und da sicherlich auch besser oder anders reagieren könnte. Aber dazu bekomme ich ja nächstes Weihnachten sicherlich Gelegenheit. Hoffentlich darf ich nochmal Türsteher sein.
Auf jeden Fall bin ich jetzt noch beeindruckter von den Leuten, die das immer und immer wieder machen und sogar ihre berufliche Laufbahn darauf ausgerichtet haben, anderen zu helfen. Ich finde das großartig. Ich weiß, dass ich das nicht kann, aber ich weiß das alles jetzt nochmal mehr zu schätzen.

Wie gesagt, ist die Tür der fieseste Spot und mir wurde auch mehrmals versichert, dass es dort sonst nicht so schlimm und stressig und aggressiv sei, aber ich fühlte mich durchweg wohl, hatte nichts, was man wirklich als Angst bezeichnen könnte (ich bin aber auch manchmal sehr blauäugig), und hatte halt den direkten Kontakt zu den Gästen, was auch immer total spannend und interessant war. Vielleicht bin ich doch nicht so introvertiert, wie ich immer denke. Vielleicht muss ich mich nur mehr zwingen…

Am nächsten Tag traf ich dann übrigens auf dem Weg zum Hauptbahnhof, ich wollte ja zu meiner Mutti und dem Rest der Family fahren, den Obdachlosen, für den ich dreimal laufen musste, um eine passende Hose für ihn zu finden, die er auch tatsächlich trug!
Na gut.
Vielleicht fühle ich mich doch ganz romantisch ein bisschen besser mit dem Universum verbunden. Es ist irgendwie doch ein sehr schönes Gefühl, für das ich aber gerade keinen Namen kenne.

Wenn ihr nun auch irgendwie ehrenamtlich aktiv werden möchtet, könnt ihr mal im Portal der Berliner Stadtmission vorbei schauen oder ihr googlet mal nach ehrenamtlicher Arbeit in eurer Stadt. Da gibt es bestimmt einiges, aber es ist auch absolut verständlich, wenn einem das nicht wirklich liegt. Allerdings sind natürlich auch Sachspenden in Form von Kleidung, Nahrungsmitteln oder tatsächlich auch Kaffee, total gerne gesehen. Und das vor allem nicht nur zur Weihnachtszeit.


12 Comments

Anna · 4. Januar 2017 at 19:16

Fabelhaft! Du bist ein cooler Typ, bitte bleib so!

Frau DingDong · 4. Januar 2017 at 19:26

Danke für deinen ausführlichen und ehrlichen Bericht. Ich glaub ich überleg mir das dann doch noch mal. 😐

seitvertreib · 4. Januar 2017 at 21:46

Toll, dass du das gemacht hast.
Und ich finds auch gut, dass du darüber (so schön) geschrieben hast 🙂

Und ein frohes neues Jahr nachträglich!

Vex · 4. Januar 2017 at 22:07

Sehr guter Text, danke!

cc · 4. Januar 2017 at 23:54

respekt!
ich wuensch dir ein gutes neues jahr!

principe · 5. Januar 2017 at 10:56

Respekt, Alter! Und natürlich alles Gute für 2017!

Marco · 6. Januar 2017 at 16:57

@Anna: Das kann ich echt nur zurückgeben 🙂

@Frau DingDong: Sehr gerne! Und mach das mal… am Ende war es aber glaub ich ganz gut, dass ich gar keine Ahnung hatte, was mich da erwartet. Jetzt würde ich das aber direkt nochmal machen 🙂

@seitvertreib: Gleichfalls! Und dankeschön 😀

@Vex: Sehr gerne! 😀

@cc: Ach was… Die Leute, die das irgendwie immer machen, ohne zu knurren, sind die echt krassen Typen. 🙂

@principe: Gleichfalls! 😀

Sandra · 14. Januar 2017 at 15:08

Ich find das so toll! Ich hab Weihnachten und Silvester früher gemeinsam mit meinem Opa Auftritte in Krebskliniken gehabt. Es ist einem ähnlich mulmig zumute (wenn auch vielleicht in eine andere Richtung) aber es gibt einem später so viel.
Ich hab diese Auftritte anfänglich jedes Mal verflucht, aber am Ende des Tages hat mich dieser Job so sehr erfüllt. Verstehe also total was Du meinst und finds sehr sehr lobenswert.

Ihr Jonathan Frakes. (@Fadenaffe) · 4. Januar 2017 at 19:03

… und dann war ich auf einmal zu Weihnachten Türsteher in der Stadtmission. https://t.co/3CoXvn64O7

@AnnaHBTC · 4. Januar 2017 at 19:10

Wunderbarer Text über das Ehrenamt in der #bahnhofsmission am Zoo von @Fadenaffe https://t.co/AVFWdIJjbW

Lesenswerte Links – Kalenderwoche 1 in 2017 > Vermischtes > Lesenswerte Links 2017 · 6. Januar 2017 at 8:01

[…] … und dann war ich auf einmal zu Weihnachten Türsteher in der Stadtmission. – Marcos Weihnachtsfest verlief anders als bei euch. […]

@wihelde · 7. Januar 2017 at 16:41

“… und dann war ich auf einmal zu Weihnachten Türsteher in der Stadtmission” https://t.co/wkGQ0gxfvb via @Fadenaffe https://t.co/Dw0oVWXAyA

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