“Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit” – Mein Kommentar zur Netflix-Doku

Published by Marco on

Ich wollte schon lange mal wieder sehr viel Meinung über Dinge schreiben, ohne allerdings eine bestimmte Form wahren zu müssen. Das wäre dann nämlich eine Rezension und das sollen mal schön die Leute machen, die korrekt und ohne googlen zu müssen Feuilleton schreiben können (das wäre auch ich, stellte ich eben fest, aber ich hab trotzdem kein’ Bock). Deswegen schreibe ich nun einen Kommentar und vielleicht mache ich das fortan sogar häufiger. Das weiß niemand.

Die Dokumentation handelt von dem Mord an Detlev Rohwedder, dem ehemaligen Chef der Treuhand, die dafür verantwortlich war, die Wirtschaft der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung zu sanieren und für die globale Marktwirtschaft fit zu machen. Allerdings offenbar in der Form, dass die (volkseigenen) Betriebe entschlackt werden, tausende Leute arbeitslos wurden (wir reden hier von einer zeitweiligen Arbeitslosenquote von mitunter 50%) und die Reste dann an ekelhafte Geldsäcke (Entschuldigung, Investoren) für einen schmalen Taler verschachert wurden, während Helmut Kohl im Fernsehen blühende Landschaften verspricht und in der ehemaligen DDR ein BRD-Nationalstolz entwickelt wird, der später zu einem massiven Zunahme an faschistischen Tendenzen sorgt, die wir auch heute noch spüren.

Es werden in der Dokumentation nun mögliche Szenarien vorgestellt, wer eigentlich für den Mord verantwortlich sein könnte, kann die Frage aber natürlich nicht beantworten, sind doch einige der diesen Fall behandelnden Akten (so sie denn überhaupt noch existieren – Knickknack) noch mindestens ein Jahr verschlossen. Da stellt sich schon die Frage, ob eine Aufarbeitung der möglicherweise vorhandenen Akten der Dokumentation nicht zuträglich gewesen wäre, andererseits steht aber auch der 30. Tag der deutschen Einheit bevor und da ist der Veröffentlichungstermin schon sehr gut gewählt.
War aber nun die 3. Generation der RAF verantwortlich (so sie denn überhaupt existierte, zumal diese These eigentlich auch als widerlegt gilt), waren es hinterbliebene Ex-Militärs der Stasi oder gar eine Fraktion in der BRD? Die Frage kann man wohl niemals zufriedenstellend beantworten. Sicherlich kann und sollte man auch keine Morde oder Selbstjustiz gutheißen, allerdings kann man sich dabei meiner Meinung nach immer gerne zu einem Puh hinreißen lassen. Puh.

Die Dokumentation selbst wird eher von Augenzeugenberichten getragen, sogar Theo Waigel sitzt selbstgefällig mit den buschigen Signatur-Augenbrauen vor der Kamera und findet sein Handeln heute noch in Ordnung, weswegen die recht dünne Quellenlage am Ende der Folgen sicherlich nachvollziehbar ist, aber eben auch sehr, sehr… dünn. Hinzu kommt, dass die Dokumentation unglaublich schmissig ist und sich wie ein spannender Spielfilm ganz gut wegschaut. Klar, wir befinden uns auf Netflix und irgendwie ist das auch cool und nahbar und spricht sicherlich mehr Leute an, aber diese Schmissigkeit, vor allem in Kombination mit den dünnen Quellen, wirkt am Ende recht schwach und reißerisch. Aber das ist auch eigentlich gar nicht der Punkt, wenn man den äußeren Rahmen um die Ermordung Rohwedders vielleicht auch eher als Vehikel sieht, um zu erzählen, wie beschissen der Umgang mit dem Osten eigentlich war.

Ich bin auch immer noch wütend, obwohl es bereits ein paar Tage her ist, dass ich das sah. Ich bin wütend, dass den Leuten in der DDR das Eigentum gestohlen wurde (bekannterweise steckte das Eigentum des Staates in den Produktionsstätten), sie beschissen wurden und sich nicht wehren konnten (bzw. es zumindest versuchten und dann auf Polizisten trafen, die gerne mal ein paar Ossis kloppen wollten), dass die Konsequenzen dessen heute noch spürbar sind, dass die Verantwortlichen wie die Geier über ein Land herfielen und ihm einen Deckel überstülpten, der einfach nicht passen wollte, ich bin sauer, dass die eine junge Frau ehrlich und unter Tränen erzählte, wie sie den Gashahn aufdrehte, und ich bin sauer, dass das Teil meiner Geschichte ist und die meiner Eltern, Verwandten, ganzer Regionen und eigentlich jedem und dass das dem Restdeutschland gefühlt gar nicht so bewusst ist.

Ich mag an der Doku, dass sie das mit mir macht und dass sie uns allen eine Möglichkeit gibt, sich mit der Geschichte des Landes auf eine zugängliche Art zu beschäftigen und durchaus auch erklären kann, warum eigentlich alles so fucked ist, warum das Selbstwertgefühl der Ossis so kaputt ist und warum Ossiwitze purer Zynismus sind.

Das schreckliche an der ganzen Geschichte ist nicht nur, dass das alles geschah und am Ende auf einen Mord hinaus lief, der eigentlich auch nicht viel änderte und vermutlich nie aufgeklärt werden wird, sondern dass sich das alles wiederholt, als hätte man da nichts raus gelernt, weil genau der gleiche Scheiß jetzt wieder passiert. Die Player heißen zwar anders, der Strippenzieher ist aber immer noch der gleiche.

“Den Kapitalismus kann man nicht erschießen, sonst hätte es schon längst jemand gemacht.”

Lutz Taufer


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STABILO BOSS BITCH MARCO (@Fadenaffe) · 29. September 2020 at 20:52

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