Comicreview: “Vakuum” von Lukas Jüliger

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Herausgeber: Reprodukt
Veröffentlicht: 2013
Künstler: Lukas Jüliger
Art: A4 Paperback
Seiten: 128
Sprache: deutsch
Preis: 20 €
U-Bahnlesetauglichkeit: Nein, man erwischt sich zu oft dabei, wie man überraschend ausruft.
Rating: Das Cover sieht aus wie ein Teddybär!

Kaufbar bei Amazon (Partnerlink) oder direkt bei Reprodukt, wo es auch eine ausführliche Leseprobe gibt.

“Das ist wirklich ein ganz toller Coming-of-Age-Roman” sagte man mir, als man mir dieses Werk quasi im übertragenen Sinne in die Hand drückte. Also man sagte es mir, aber schlußendlich drückte es mir ja der Postbote in die Hand und mit dem rede ich selten viel und noch seltener über den Inhalt meiner Pakete. “Der ist wirklich überraschend. Ehrlich!” Mit Coming-of-Age ist es aber so eine Sache. Wenn man gerade selbst aus dem Age kommt, sind solche Werke bestimmt eine gute Sache, wenn sie denn auch gut sind, wenn man dieses gewisse Alter aber schon überschritten hat und mich sich selbst eigentlich ganz gut klar kommt und kaum noch offene Fragen hat, sind solche Werke manchmal doof. Manchmal. Sie sind oft genug trotzdem super, aber manchmal eben unnötig. Vermutlich sind das ganz starke Vorurteile, die ich da habe, weswegen ich euch nicht in allbekannter Manier von diesem Comic erzählen möchte (also schon auch), sondern in erster Linie lieber darüber, wie ich ihn wahrnahm. Wie ich ihn denn wahrnahm und warum das ein Comic ist DEN IHR VERDAMMTE KACKE UNBEDINGT LESEN MÜSST, erzähle ich euch in folgender Review.

Ist das eigentlich schon ein Spoiler in der Einleitung?

Wie gesagt, habe ich es ja irgendwie geschafft, ohne größere Schäden erwachsen zu werden, weswegen ich mich selten als Zielgruppe für Coming-of-Age-Dinge, die ich gerne auch mit Jugendkram (Kram im Sinne von Büchern und Filmen) gleichsetze, sehe. Vermutlich muss ich diese Denkweise ein bisschen überarbeiten, hat mich der Comic hier nämlich so unglaublich unvorbereitet getroffen und durchgeschüttelt, dass ich ihn seit dem ganz ehrlich kein zweites Mal lesen konnte. Darin Blättern, ja, aber ein zweites Mal komplett? Ich glaube, dafür brauche ich noch etwas Zeit.
Die Geschichte handelt von einem Jungen in einer Kleinstadt, der sich nicht nur sehr langweilt, sondern auch noch ein Mädchen kennen lernt. Dieses eine Mädchen, das seine Welt auf den Kopf stellt und ihn mit ihrer mysteriösen Art völlig in ihren Bann zieht. Dass einer seiner Mitschüler Selbstmord beging bekommt er zwar mit, aber auch nur peripher, scheint er dafür kein ehrliches Interesse aufbringen zu können. Viel mehr sorgt er sich um seinen Freund Sho, der mitten in einer Sinnkrise zu stecken scheint und sich im Laufe der Geschichte von seinem ganzen Besitz trennt, bis er selbst nur noch eine leere Hülle ist.

Ich las die ersten paar Seiten und war von dem Artwork verwirrt. Es ist einerseits unglaublich detailiert, die Bleistiftschraffuren sind wunderschön, aber trotzdem strahlt alles eine Düsternis aus, die bis dahin einfach noch nicht zur Geschichte passte. Klar, es ist ein Eyecandy und äußerst außergewöhnlich und in seiner vordergründigen Einfachheit doch total komplex, aber es fühlt sich unpassend an. Irgendwie. Dann wurde die Geschichte zum ersten Mal abgefahren.

Wir erfahren nämlich, warum sich der Junge umbrachte. Ich erlaube mir einfach mal bis dahin zu spoilern, befindet sich das ja noch recht am Anfang der Geschichte. Der Junge nämlich hatte einen größeren Bruder, der vom beliebtesten Mädchen der Schule besessen war und sie sogar heimlich (mehr oder weniger) auf der Toilette fotografierte. Trotzdem gab das Mädchen seinem Bruder Nachhilfe, bis er sie vergewaltigte, sich auf seine Matratze in ein Kornfeld legte und an einer Überdosis Schlaftabletten verschied. Ich legte das Buch bei Seite und musste erstmal tief durch atmen. Tatsächlich weniger wegen der Tat und der Schilderung selbst (sie wird hier nur von dritten nacherzählt), als von den Reaktionen der Leute darauf. Es ist natürlich Faszination, müssen wir uns doch daran erinnern, dass Langeweile in der Geschichte ein treibendes Motiv zu sein scheint.

Tatsächlich hangelt sich die Geschichte von einer Eigenartigkeit zur nächsten, sei es eine geheime Leichenschau oder alles, was der nihilistische Freund der Hauptfigur anstellt, ohne dabei diese bedrückende Tristesse zu vernachlässigen. Und als ich genau das feststellte, fand ich die Zeichnungen unglaublich passend. vordergründig simpel, im Detail komplex und verwirrend. Das ist nicht nur einfach clever, das ist sogar schon äußerst clever. Und passend. Und toll. Und berückend.

Die namenlose Freundin der namenlosen Hauptfigur allerdings hat noch ein Geheimnis. Kaum kommen sich die beiden näher, verbringen ein paar ruhige Minuten miteinander, muss sie flüchten, um irgendetwas zu tun. Immer wieder und wie Jungs in dem Alter so sind, lässt die Hauptfigur sich das auch gefallen, wird allerdings doch sehr misstrauisch.

Und dann erfahren wir ihr Geheimnis und ich habe es nicht verstanden. Es erklärt gar nichts, es wirft nur noch mehr Fragen auf und man überlegt sich Dinge, was das bedeuten könnte, was es sein könnte und kommt zu keiner schlüssigen Antwort. Tatsächlich das Geheimnis keine Eigenartigkeit oder Absurdität mehr, es ist völlig… unverständlich. Es ist erstaunlich, in dem Kontext völlig überraschend, irgendwie clever aber genauso abgefuckt. Das Buch entwickelte sich bis dahin langsam zu einer wirklich außergewöhnlich guten Geschichte, aber das gab ihm den Rest. Ich würde es euch gerne verraten, aber das kann ich nicht tun, da ich es euch dann verraten hätte. Ihr kennt dieses Dilemma.

Und dann kam Sho.

Und dann kamen die letzten paar Seiten und alles war furchtbar und schön und ich musste das Buch schließen, weil ich schon wieder viel zu schnell gelesen habe. Einst setzte ich mich völlig unvorbereitet hin und erwartete von einem Jungen zu lesen, der sich über haarige Stellen an seinem Körper wundert und dieses eine Mädchen kennen lernt. Als ich es ausgelesen hatte fühlte ich mich allerdings wie jemand, der mehrere Stunden mit eben jenem Buch verprügelt wurde. Irgendwie leer, verwirrt und für das Gelesene eigentlich gar nicht die richtigen Worte findend.

Fazit: Jetzt möchte ich der Mensch in euren Leben sein, der euch sagt, dass das ein ganz toller Roman ist, der immer wieder überrascht und verwirrt und dich mit einem völlig eigenartigen Gefühl zurücklässt, für das es vermutlich gar kein richtiges Wort gibt. Was Lukas Jüliger da jedenfalls als sein Comicdebüt ablieferte kann sich nicht nur auf jeden Fall sehen lassen, sondern sollte auch auf jeden Fall gesehen werden.

Vielen Dank an Reprodukt für das Rezensionsexemplar

3 Comments

ExitMothership · 18. März 2013 at 15:57

Ganz ehrlich, ich hab letztes Wocheende davor gestanden und überlegt, ob ich mir den holen soll.
Konto sagte leider nein…
Werd ich aber definitiv nachholen!

Celina · 18. März 2013 at 20:21

Allein der Stil gefällt mir schon. Ich mag es, wenn es was eigenes ist, nicht typisch Comic oder typisch Mangastil oder was auch immer. Wenn halt echt ein eigener Zeichenstil vorhanden ist. Und ich mag bedrückende Stimmung. Ich glaube du zwingst mich, den zu kaufen!

Marco · 24. März 2013 at 21:34

@ExitMothership: Auch ehrlich, ich hätte mir den echt nie gekauft. Das Cover spricht mich nicht so richtig an und die Zecihnungen werden auch erst mit der Zeit passend und schön. Aber ich wüsste eben auch nicht, was mir entgeht *g*

@Celina: Hoffentlich! *g* Eigentlich muss man das wirklich mehr würdigen, dass auch wirklich gute Comics aus Deutschland kommen.

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